Der rigide Charakter nach LOWEN

Der rigide Typus der Charakterstruktur beruht auf tätiger Aggression und auf der genitalen Ebene auf dem Vorhandensein eines Panzers, der sowohl emotional als auch muskulär erkennbar ist.  Das Ich ist sicher verankert; seine Stärke ist jedoch dem Grad der Rigidität umgekehrt proportional.  Das Verhalten wird beherrscht und ist der Realitätsfunktion starr unterworfen.  Angst ist im allgemeinen nicht vorhanden, aber der rigide Charaktertypus ist nur sehr selten ein reiner Typus.

Beschreibung: Der Begriff der Rigidität oder Starrheit geht auf die Tendenz der betreffenden Menschen zurück, sich steif zu halten aus Stolz oder Unnahbarkeit.  Sie tragen den Kopf ziemlich hoch und haben ein betont gerades Rückgrat.  Wenn der Stolz nicht abwehrend und die Starrheit nicht inflexibel wäre, würde es sich um durchaus positive Züge handeln.  Der rigide Charakter fürchtet sich davor, nachzugeben, da er jedes Nachgeben mit Unterwerfung und Kollaps gleichsetzt.  Die Rigidität wird zum Abwehrmechanismus, der eine unterschwellige masochistische Tendenz bekämpfen soll.

Der rigide Charakter ist ständig auf der Hut, daß man ihn nicht ausnutzt, manipuliert oder hereinlegt.  Seine Wachsamkeit führt dazu, daß er Impulse, sich zu öffnen und nach etwas zu greifen, zurückhält bzw. eindämmt.  Die Fähigkeit des Eindämmens beruht auf einer starken Ich-Position mit einem hohen Maß an Verhaltenskontrolle.  Sie wird auch durch eine ähnlich stark ausgeprägte Genitalposition gestützt.  Auf diese Weise wird die Persönlichkeit an beiden Enden des Körpers verankert, wodurch ein guter Kontakt mit der Realität gewährleistet ist.  Leider wird die Betonung der Realität als Abwehrbastion gegen das Streben nach Lust - nach dem Sich-gehen-Lassen - benutzt, und das ist der eigentliche Konflikt dieser Persönlichkeit.

Bioenergetischer Zustand: Bei Menschen mit einer rigiden Charakterstruktur sind die äußeren Kontaktgebiete mit der Umwelt ziemlich stark geladen, was die Fähigkeit verbessert, die Realität zu prüfen, bevor man handelt.

Das Eindämmen geschieht an der Peripherie des Körpers.  Das Gefühl kann also fließen, wird jedoch nur beschränkt ausgedrückt.  Die Hauptspannungsgebiete sind die langen Muskeln des Körpers.  Verspannungen in den Streck- und Beugemuskeln wirken zusammen, um die Rigidität zu schaffen.

Es gibt natürlich verschiedene Grade von Rigidität.  Wenn das Eindämmen oder Zurückhalten nur schwach ausgeprägt ist, ist die Persönlichkeit lebhaft und vibriert vor Spannkraft.

Körperliche Erscheinung: Der Körper des rigiden Charakters ist gut proportioniert, die einzelnen Teile sind harmonisch aufeinander abgestimmt.  Der Körper wirkt integriert und zusammenhängend, und er fühlt sich auch so an.  Trotzdem beobachtet man manchmal auch einige der Störungen und Verzerrungen, die bei den anderen Charaktertypen beschrieben wurden.

Ein wichtiges Merkmal ist die Lebhaftigkeit des Körpers: glänzende Augen; gute Hautfarbe; temperamentvolle Gesten und Bewegungen.

Wenn die Rigidität stark ausgeprägt ist, sind die oben genannten Merkmale entsprechend reduziert - Harmonie und Anmut der Bewegungen sind schwächer, die Augen wirken glanzloser, und die Haut kann eine blasse oder graue Tönung haben.

Psychologische Begleitmerkmale: Menschen mit einer rigiden Charakterstruktur sind im allgemeinen weltorientiert, ehrgeizig, kämpferisch und aggressiv.  Passivität wird als Verwundbarkeit empfunden.

Der rigide Charakter kann eigensinnig oder störrisch sein, ist aber nur selten gehässig.  Sein Eigensinn beruht zum Teil auf seinem Stolz; er befürchtet, lächerlich oder dumm zu wirken, wenn er sich gehenläßt, und hält deshalb seine Gefühle und Impulse zurück.  Das ist teilweise mit seiner Furcht zu erklären, Unterwerfung würde Freiheitsverlust bedeuten.

Die Bioenergetik verwendet die Bezeichnung „rigider Charakter“, um den gemeinsamen Faktor verschiedener Persönlichkeiten zu beschreiben.  In diese Gruppe gehört nicht nur der phallisch disponierte narzißtische Mann, bei dem sich alles um die sexuelle Potenz dreht, sondern auch der viktorianische Typ der hysterischen Frau, die Sex als Abwehrbastion gegen Sexualität benutzt; diesen Typ hat Reich in seinem Werk Charakteranalyse geschildert.  Das Charakterbild, das man früher „zwanghafter Charakter“ nannte, gehört ebenfalls in diese breitgefächerte Gruppe.

Die Rigidität des Charakters ist stahlhart.  Auch bei der schizoiden Struktur beobachtet man eine gewisse Rigidität, die auf den eingefrorenen Energiezustand zurückgeht; die schizoide Starrheit ist jedoch wie Eis - also nicht stahlhart, sondern spröde und brüchig.  Menschen mit einer rigiden Charakterstruktur kommen im allgemeinen recht gut mit dem Leben zurecht.

Ursächliche und historische Faktoren: Die Fallgeschichte solcher Menschen ist insofern interessant, als sie nicht die schweren Traumata aufweist, die die anderen, ausgeprägteren Abwehrhaltungen auslösen.
Das bezeichnende Trauma ist das Frustrations- oder Versagungserlebnis beim Streben nach erotischer Befriedigung, besonders auf genitaler Ebene.  Es kam dazu, weil man dem Betreffenden als Kind die Masturbation verbot oder weil die Beziehung zum andersgeschlechtlichen Elternteil gestört war.
Das Kind betrachtete die Zurückweisung seines Strebens nach erotischer und sexueller Lust als Schlag gegen sein Liebesbedürfnis.  Erotische Lust, Sexualität und Liebe sind für den kindlichen Geist synonym.
Wegen seiner starken Ich-Entwicklung hat der rigide Charakter dieses Bewußtsein nicht unterdrückt oder verdrängt.  Wie unser Schaubild zeigt, ist sein Herz nicht von der Peripherie des Körpers abgeschnitten.  Er - bzw. sie - ist ein Mensch, der mit dem Herzen handelt, wenn auch kontrolliert und maßvoll.  Insgeheim wünscht er sich, auf Kontrolle verzichten und ganz dem Herzen folgen zu können.

Da der ungehinderte Ausdruck von Liebe als Verlangen nach körperlicher Intimität und erotischer Lust von den Eltern zurückgewiesen wurde, versucht der rigide Charakter, dieses Ziel auf indirektem Weg zu erreichen, wobei er ständig auf der Hut bleibt.  Im Gegensatz zum psychopathischen Charakter manipuliert er nicht; er manövriert vielmehr, um körperliche Nähe zu erreichen.

Sein Stolz ist insofern bedeutsam, als er an das Gefühl der Liebe geknüpft ist.  Die Zurückweisung seiner sexuellen Liebe stellt eine Verletzung seines Stolzes dar.  Entsprechend ist eine Beleidigung seines Stolzes gleichbedeutend mit Zurückweisung seiner Liebe.

Noch eine abschließende Bemerkung: Ich habe nicht über die Behandlung dieser Probleme gesprochen, weil ein Therapeut keine Charaktertypen, sondern Individuen behandelt.  Die Therapie konzentriert sich auf den einzelnen Menschen mit seinen unmittelbarren Beziehungen: zu seinem Körper; zu dem Grund, auf dem er steht; zu den Leuten, für die er sich engagiert; und zu seinem Therapeuten.  Das ist der Vordergrund des therapeutischen Ansatzes.  Der Hintergrund ist die Kenntnis seines Charakters, ohne die man den Patienten und seine Probleme nicht verstehen kann.

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