Der masochistische Charakter ist scheinbar aggressiv, aber aufmerksame Beobachtung zeigt, daß das Verhalten eher provozierend als aggressiv ist. Das beherrschende Muster ist nicht Hochstimmung und Depression wie beim oralen Typus, sondern Versuch und Scheitern, Selbstbehauptung und Zusammenbruch, die in einem sumpfähnlichen Zustand enden. Bioenergetisch ist die masochistische Struktur hoch geladen, aber die Muskelverspannungen sind so stark, daß es dem Betreffenden physisch unmöglich ist, eine längerdauernde Handlung durchzuhalten.
Der Mensch mit masochistischem Charakter zeigt in seinem äußeren Verhalten zwar eine unterwürfige Einstellung, ist aber innerlich ganz konträr angelegt. Auf der tieferen emotionalen Ebene hat er ausgeprägte Haß-, Negativismus-, Feindseligkeits- und Überlegenheitsgefühle. Diese Gefühle werden jedoch von der Furcht blockiert, er könnte in gewalttätiges Verhalten ausbrechen. Diese „Explosionsgefahr“ bekämpft er durch eine eindämmende Muskelstruktur. Dicke, starke Muskeln verhindern jede direkte Selbstbehauptung und lassen nur Klagen oder Beschwerden durch.
Wegen der starken Eindämmung sind die äußeren Organe und Körperteile ungenügend geladen, was eine wirksame Entladung und Entspannung unmöglich macht - das heißt, die expressive Aktion ist begrenzt.
Die Eindämmung ist so stark, daß sie zur Kompression und zum Kollaps des Organismus führt. Der Kollaps tritt in der Taillengegend auf, wenn sich der Körper unter der Last seiner Spannungen beugt.
Impulse, die nach oben und unten strömen, werden im Hals und in der Taillengegend abgewürgt. Das erklärt die ausgeprägte Angsttendenz. Die körperliche Ausdehnung oder Entwicklung ist ernstlich beeinträchtigt. Diese Beeinträchtigung trägt zur oben erwähnten Schwächung der äußeren Strukturen bei.
Ein anderes wichtiges Merkmal ist das vorgeschobene Becken. Die Gesäßpartie wird dadurch verkleinert und abgeflacht. Diese Position erinnert an die Haltung eines Hundes mit eingezogenem Schwanz.
Das abgeflachte oder nach vorn gedrückte Gesäß ist zusammen mit den im oberen Teil des Körpers herrschenden Spannungen dafür verantwortlich, daß der Körper in der Taille einknickt.
Bei manchen Frauen ist die obere Hälfte des Körpers rigid oder starr, während die untere masochistisch wirkt - schwere Schenkel und Gesäßbacken, hochgezogener Beckenboden und, als Folge der stagnierenden Ladung, dunkel getönte Haut.
Bei allen Menschen mit masochistischer Charakterstruktur tendiert die Haut zu einer bräunlichen Grundtönung, eine Folge der stagnierenden Ladung.
Psychologische Begleitmerkmale: Wegen der starken Eindämmung ist die Aggressivität erheblich vermindert. Die Selbst-Durchsetzung ist ähnlich beschränkt.
An die Stelle der Selbst-Durchsetzung treten Klagen und Jammern. Jammern ist der einzige vokale Ausdruck, der leicht durch die blockierte Kehle gelangt. Statt der Aggressivität beobachtet man ein herausforderndes Verhalten, das bei dem jeweiligen Partner oder Gegenüber eine starke Reaktion auslösen soll, die es dem Masochisten wiederum ermöglicht, heftig und explosiv zu reagieren. Das gilt für sexuelle wie für andere Situationen.
Die stagnierende Ladung, die auf der starken Eindämmung beruht, erzeugt das Gefühl, man „stecke in einem Sumpf“ und sei nicht mehr fähig, sich frei zu bewegen.
Typisch für das masochistische Verhalten ist eine unterwürfige, gefallsüchtige Einstellung. Auf der bewußten Ebene versucht der Masochist, anderen zu gefallen; auf der unbewußten Ebene leugnet er diese Haltung jedoch durch Auflehnung, Negativismus und Feindseligkeit. Diese unterdrückten Gefühle müssen entladen werden, bevor der masochistische Mensch voll und ungehindert auf Situationen des täglichen Lebens reagieren kann.
Die dominierende, sich aufopfernde Mutter erstickt das Kind förmlich. Als Ergebnis empfindet das Kind bei jedem Versuch, seine Selbständigkeit zu beweisen oder eine entgegengesetzte Einstellung durchzusetzen, starke Schuldgefühle.
Typisch ist eine starke Fixierung auf Essen und Defäkation. Das geht auf starken Druck von unten und oben zurück. „Sei ein braver Junge. Mach deiner Mutter Freude. Iß brav deinen Teller leer ... Und geh schön aufs Töpfchen. Laß Mami zugucken“ usw.
Alle Bemühungen, sich zu wehren, auch Wutanfälle, wurden im Keim erstickt. Menschen mit einer masochistischen Struktur hatten als Kinder ausnahmslos Wutanfälle, die sie abwürgen mußten.
Sie hatten häufig das Gefühl, in der Falle zu sitzen, und konnten nur mit Haßoder Groll darauf reagieren. Diese Reaktionen endeten jedoch mit einer Niederlage.
Der Patient hatte als Kind mit tiefen Erniedrigungsgefühlen zu kämpfen, sobald er seinen Gefühlen „freien Lauf gelassen hatte“ in Form von Erbrechen, Besudeln oder Trotz.
Der Masochist hat Angst, aus sich herauszugehen oder (das gilt auch für sein Geschlechtsorgan) nach etwas zu greifen, weil er befürchtet, verstümmelt zu werden. Viele Masochisten leiden unter Kastrationsangst. Am bezeichnendsten ist die Furcht, von den Beziehungen zu den Eltern, die - allerdings nur zu einem bestimmten Preis - Liebe liefern, abgeschnitten zu werden.
Es ist aufschlußreich, die Beschwerden zu analysieren, mit denen ein Patient kommt. Der Masochist leidet an heftiger Angst. Wir haben jedoch gesehen, daß auch der Mensch mit oralem Charakter viel Angst haben kann. Darin unterscheiden sie sich vom passiv-femininen und vom rigiden Charaktertyp, deren höhere Ich-Entwicklung sie befähigt hat, ihre Angst - außer unter besonderen Umständen - zu binden. Die Angst des Masochisten unterscheidet sich jedoch von der des oralen Charakters. Der erstere empfindet Angst, wenn er bei der Arbeit oder in sozialen Beziehungen unter Druck steht, der letztere hat Angst, bevor er der Situation begegnet. Dieser Unterschied ist zwar geringfügig, aber wichtig, denn gerade das Gefühl, ständig unter großem Druck zu stehen, kennzeichnet das masochistische Ich. Die Trägheit des Masochisten ist nicht das Äquivalent der Depression des Menschen mit oralem Charakter.
Reich weist darauf hin, daß „die masochistische Quälsucht, die masochistische Klage, die masochistische Provokation und das masochistische Leiden sich sinngemäß aus der phantasierten oder realen Nichterfüllung eines unerfüllbaren, quantitativ gesteigerten Liebesanspruchs (erklären). Dieser Mechanismus ist für den masochistischen Charakter spezifisch (und) eignet sonst keiner Neuroseform“. Aber warum ist der Liebesanspruch übersteigert? Reich sagt: „Der masochistische Charakter versucht, die innere Spannung und drohende Angst durch eine inadäquate Methode zu binden, nämlich durch Liebeswerben in Form von Provokation und Trotz“. Das muß natürlich fehlschlagen. Der masochistische Charakter ist dem Bewußtsein nah, daß es fehlschlagen muß. Es ist schon viele Male geschehen. Er gibt sogar die Tatsache zu. Man kann also hinzufügen, daß er auf einer gewissen Ebene scheitern will. Ist dies das Strafbedürfnis, von dem wir so viel lesen? Es gibt zwei weitere Deutungen. Erstens wird durch einen Fehlschlag die eigene Unzulänglichkeit gerechtfertigt. Man kann anderen die Schuld geben. Zweitens wird der Erfolg gefürchtet, denn er rückt den Masochisten ins Rampenlicht und weckt sehr starke Ängste, die mit dem Exhibitionismus verbunden sind.
Einer von Lowens Patienten sagte einmal, er spüre den „Teufel“ in seinem Inneren, und gelegentlich könne er ihn sehen. Der „Teufel“, wie ihn der Patient sah, hatte das Gesicht eines Mannes mit einem Ausdruck von Spott und Hohn, als wollte er zu ihm sagen: „Es wird dir nicht gelingen, du bist wirklich wertlos.“ Andererseits fühlte er sich, wenn er den „Teufel“ in sich spürte, immer stärker und besser und außerhalb des masochistischen Sumpfes. Bei diesen Gelegenheiten empfand er Verachtung für andere und fühlte sich ihnen weit überlegen. Diese Einstellung wurde der Therapie gegenüber folgendermaßen ausgedrückt: „Leck' mich am A., ich kann da selbst rauskommen, ich brauch' dich nicht. Du bist sowieso wertlos.“ Und er erkannte, daß es der „Teufel“ in ihm war, der ihn in der Woche zuvor veranlaßt hatte, seine Frau zu kritisieren.
Lowen hat in jeder masochistischen Charakterstruktur eine Teufelsfunktion beobachtet. Es ist eine negative Kraft, die sich in Zweifel und Mißtrauen, den Gegenspielern der Herzensempfindungen Glaube und Liebe, ausdrückt. Der Teufel verrichtet seine schmutzige Arbeit, indem er jeden expansiven, nach außen gerichteten Impuls durch Zweifel oder Mißtrauen blockiert. Beim masochistischen Charakter ist das auf frühkindliche Erlebnisse gegründete Mißtrauen tief eingefleischt und widersteht hartnäckig jedem Angriff. Solange es besteht, muß man auf eine negative therapeutische Reaktion gefaßt sein. Man kann sie nur durch sorgfältige charakteranalytische Aufdeckung beheben. Die Position wird nur vorübergehend aufgegeben. Bei der leichtesten Andeutung von Feindseligkeit wird sie rasch wieder eingenommen. Der Teufel kann aber überwunden werden, wenn die Herzensgefühle, Liebe, Gott, Eros das Gehirn und die Genitalien beherrschen.
Analytische Studien hatten ergeben, daß der Masochist ein sehr strenges Über-Ich hat. Das Leidensbedürfnis wurde als ein Versuch gedeutet, das Über-Ich zu besänftigen, die Gewissensbisse eines sich schuldig Fühlenden zu mildern. Dem Verhalten des Masochisten liegen Trotz und Haß zugrunde. Dieser latente Haß beim Menschen mit masochistischem Charakter würde die strenge seines Über-Ichs oder Gewissens voll rechtfertigen. Aber diese Beobachtungen lösen die Schwierigkeit nicht auf. Es bleibt die Frage, wie es möglich ist, daß sich ein Impuls (der Haß), der ursprünglich nach außen auf die Welt gerichtet ist, nach innen gegen das eigene Selbst kehrt ?
Um in der Behandlung des masochistischen Charakters Fortschritte zu machen, sollte man damit beginnen, ihn aufzufordern, seine negativen Gefühle zum Ausdruck zu bringen. Ausdrücke wie „lch will nicht“, „Ich hasse Sie“, kommen leicht heraus. Die zurückgehaltene Aggression stellt das negative Gefühl dar. Auch hier muß man sorgfältig darauf achten, daß das Gesagte wirklich empfunden wird. Um sicherzugehen, frage ich, gegen wen sich die negative Einstellung richtet. Wenn die Antwort den Therapeuten nicht miteinschließt, sollte man ihr mißtrauen, denn jeder Mensch mit masochistischem Charakter hat eine besonders negative Einstellung zur Therapie oder Analyse.
Diese Arbeit, den negativen Charakter des masochistischen Verhaltensmusters aufzudecken, kann ziemlich lange dauern, aber man sollte sie sorgfältig betreiben. Solange diese negative Grundeinstellung besteht, ist es unmöglich, das Leiden merklich zu lindern. In dieser Schicht von Negativität eingeschlossen, mißtraut der Masochist der Welt, der Realität und dem Therapeuten. Keine Liebe oder Anerkennung kann die Schranke durchbrechen, und kein positives Gefühl kann durch sie hindurch ausgedrückt werden, Dies ist auch der Grund für das masochistische Leiden. Er will herauskommen, aber er wagt es nicht; er möchte, daß man ihn befreit, aber er traut es einem nicht zu.
Was die Behandlung des Masochisten so schwierig macht, ist das tiefe Mißtrauen, mit dem der Masochist die Welt betrachtet. Wir haben gesehen, daß es sogar schwierig ist, einen aufrichtigen Ausdruck negativer Gefühle von ihm zu bekommen. Alles ist so durch Mißtrauen vergiftet, daß der Masochist sich schließlich selber mißtraut, seinem Handeln und seiner Besserung. Da dieses Mißtrauen auf Erlebnissen in der frühen Kindheit beruht, die eine solche Einstellung rechtfertigen, kann man von dem Patienten nicht erwarten, daß er sie rasch aufgibt.
Tendenzen zur Selbstbeschädigung und Selbstherabsetzung sind eine weitere masochistische Eigenschaft. Man hat sie psychologisch analysiert und ihnen die Bedeutung unterlegt: „Sieh, wie elend ich bin. Warum liebst du mich nicht?“ Sehr häufig werden diese Tendenzen nicht mündlich geäußert. Sie manifestieren sich in der Kleidung und in der Körperpflege. Masochistische Patienten kommen oft schlampig und mit schmutzigen Kleidern in ihre Sitzungen. Ein Patient hat mir einmal gesagt, immer, wenn er sich unzulänglich fühle, ziehe er ein Hemd mit durchgescheuertem Kragen an. Die Verachtung, die der Masochist für andere empfindet, wendet sich auch nach innen, gegen ihn selbst. Auch hier spielt wieder ein provokantes Element hinein: „Liebst du mich so schmutzig und ungepflegt, wie ich bin?“ Die andere Seite der Medaille sieht man bei manchen Personen, die ein übertriebenes Reinlichkeitsgefühl haben. Dies ist offensichtlich eine Abwehrreaktion gegen starke masochistische Tendenzen zur Selbstentwertung.
Was ist die Energiedynamik solcher Tendenzen ? Was ist ihr genetischer Ursprung? Ich habe im vorigen Kapitel erwähnt, daß der Masochist auf dem Eingeweideniveau funktioniert. Wir haben auch den Mangel an Rückgratgefühl bemerkt. Jetzt können wir sagen, daß sich der Masochist auf der Ebene des Unbewußten wie ein Wurm oder eine Schlange fühlt. Seine Tendenz, sich zu winden, kann man sowohl psychologisch als auch bioenergetisch beobachten. Wiederum auf der Ebene des Unbewußten hat er das Gefühl, er gehöre auf den Boden. Es fällt ihm sehr schwer, seinen Körper wirklich aufrecht zu halten, und die Neigung, zu Boden zu fallen, ist charakteristisch.
Wenn wir nach dem gemeinsamen Nenner jener frühen Erfahrungen suchen, die den Masochismus erzeugen, finden wir ihn in dem Gefühl der Demütigung. Der Masochist ist ein Mensch, der als Kind tief gedemütigt worden ist. Man hat ihn dazu gebracht, sich unzulänglich und wertlos zu fühlen. Was für Erlebnisse können ein solches Gefühl zur Folge haben? Bei dem im vorigen Kapitel besprochenen Fall waren es Zwangsfütterung ohne Rücksicht auf die Gefühle des Kindes und eine Reinlichkeitserziehung, die sich in das Gefühl des Kindes von der Unverletzlichkeit seines Körpers eindrängte.
Diese Mütter glauben, im besten Interesse ihrer Kinder zu handeln und schlagen sie in der Regel nicht. Vielmehr wird Fügsamkeit mit Anerkennung belohnt, Auflehnung jedoch mit ausgeprägter Mißbilligung. Sobald sich das Kind unterwirft und das Verhaltensmuster festgelegt ist, sind alle zukünftigen Handlungen des Betreffenden darauf gerichtet, Anerkennung zu gewinnen. Alle Masochisten zeigen ein übermäßiges Bedürfnis, anerkannt zu werden. Sie streben danach, anderen zu gefallen, in der Hoffnung, Anerkennung werde ihnen Liebe bringen. Darin werden sie natürlich fortwährend enttäuscht. Wir beurteilen diejenigen nicht, die wir lieben, und jene, die wir beurteilen müssen, lieben wir nicht. Es ist demütigend für ein Lebewesen, wenn es spürt, daß seine Sicherheit und sein Angenommenwerden von seiner Unterwürfigkeit abhängen. Der Masochist wird nämlich auf die Dauer unterwürfig.
Die Beachtung der materiellen Bedürfnisse des Kindes ohne Berücksichtigung seiner zärtlichen Gefühle oder seiner spirituellen Bedürfnisse schafft ein masochistisches Problem. Es ist nicht verwunderlich, daß der Masochist später von geistigen Werten zu sprechen pflegt, aber auf materieller Ebene handelt. Er versucht, im Austausch gegen Mühe und Arbeit Liebe zu gewinnen. Er leugnet die Bedeutung materieller Dinge, aber Besitztümer bedeuten ihm viel. Er ist wirr in seinen Wünschen, verlegen, wenn er sie ausdrücken soll, und er zweifelt daran,
Angesichts der starken Verspannungen an allen Körperausgängen kann der Masochist nur eine Entladung erreichen, indem er etwas hinausdrückt oder hinausquetscht. Sowohl seine Arbeitsfunktion als auch seine Sexualfunktion sind durch diese Reaktionsqualität geprägt. Er „drückt“ bei der Arbeit, so daß diese Funktion zwar in einem Maß durchgehalten werden kann, die bei einem oralen Charakter unmöglich wäre, aber keine entspannte und ungezwungene Tätigkeit ist. Er arbeitet mit seinen „Innereien“, aber nicht mit dem Herzen. Infolgedessen fehlt es seinen Unternehmungen im allgemeinen an Spontaneität und Kreativität. Da der Masochist sein „inneres“ in alles legt, was er tut, ist er ein Schwerarbeiter. Das hängt mit seinem starken Bedürfnis nach Anerkennung zusammen. Auf die Dauer läßt dieses ständige Sich-Antreiben die Gedärme sich derart verknoten, daß ein Zusammenbruch unvermeidlich wird.
Man hat beobachtet, daß der Masochist in seinem Verkehr mit anderen recht dumm erscheinen kann. Schon eine oberflächliche Analyse würde zutage fördern, daß dies auf einer Verwirrung beruht, über die diese Patienten oft klagen. Sie leiden an einer Blockierung der Fähigkeit, einen Gedanken oder ein Gefühl auszudrücken. Dies steht im Gegensatz zur Flüssigkeit des Ausdrucks, wie sie für den oralen Charakter kennzeichnend ist. Trotz seiner scheinbaren Unbeholfenheit im Ausdruck ist der Masochist sehr intelligent und sensibel. Er hat eine durchdringende und richtige Wahrnehmung und ein entsprechendes Verständnis für das Verhalten anderer. Im Gegensatz dazu kennt er die Kräfte nicht, die sein eigenes Verhalten bestimmen. Er setzt seine Intelligenz im Dienst seines Mißtrauens ein; sie spielt daher in seinem persönlichen Leben eine finstere Rolle.
Genau wie der orale Charakter durch die Tendenz zu zyklischen Umschwüngen von Hochstimmung und Depression geprägt ist, so ist das Energiemuster des Masochismus vom Abwechseln zwischen Angst und Versinken im Sumpf charakterisiert. Theodor Reik hat es gut beschrieben, als er sagte, es sei wie das Versinken im Triebsand, wo jede Anstrengung einen tiefer einsinken läßt. Es ist keine Sackgasse, sondern ein fortwährender Kampf, kein statischer Zustand, sondern eine ungemein dynamische mobile Daseinsform. Jede Vorwärtsbewegung wird angesichts zunehmender Angst gemacht, bis der Masochist erschöpft wieder in den Sumpf zurückfällt. Hier brütet er, bis neue Impulse, ein neuer Tag oder neue Bedingungen eine neue Anstrengung auslösen. Der Ausweg wäre genitale Abfuhr, aber dieser Weg ist dem Masochisten durch ein unerklärliches Entsetzen versperrt. Es muß eine äußere Kraft angewandt werden, um den Masochisten zu befähigen, die Schraube zu durchbrechen. Manchmal muß er buchstäblich, immer aber im übertragenen Sinn, vorwärtsgepeitscht werden.
Der orale Charakter hat geschwächte Impulse und ist wirklich verwirrt; der Masochist hingegen ist sich der Ambivalenz von Liebe und Haß bewußt, die seinen Zustand bestimmt. Das erklärt die niederschmetternden Schuldgefühle, das terrorisierende Über-Ich, die diese Menschen quälen.
Das Problem des Masochismus kann man nur als Störung verstehen und behandeln. Ambivalenz, Wankelmut und Ungewißheit prägen jeden Aspekt des masochistischen Verhaltens. Jeder Aggressionsimpuls, jede Bewegung oder Geste zeigt diese Grundstörung. Bevor ein Impuls vollständig ausgedrückt werden kann, wird er von Zweifel und Unsicherheit überholt und entweder zurückgehalten, zurückgezogen oder gegen Widerstand durchgedrückt. Wir sehen meist nur die Impulse, die herauskommen; es bedarf einer Tiefenanalyse, um die blockierte Wut und Heftigkeit zu offenbaren.
Beim masochistischen Charakter herrscht keine innere Leere, vielmehr ist immer ein Gefühl innerer Spannung und Angst vorhanden. Der Betroffene hat das Gefühl, er habe in bezug auf Liebe oder Arbeit viel zu bieten, wenn er es nur herausbringen könnte. Er ist unabhängiger als der orale Charakter, aber seine Selbständigkeit wird durch sein starkes Bedürfnis nach Anerkennung untergraben. Der Masochist ist der willigste Patient des Analytikers, aber er ist auch derjenige mit dem schlechtesten Therapieergebnis. Lassen Sie uns, damit wir die Dynamik dieses Aspekts des masochistischen Problems besser begreifen, die orale Charakterstruktur bioenergetisch mit der masochistischen Charakterstruktur vergleichen.
Die oralen Charaktere sind bestimmt durch die Tendenz zur Hochstimmung, zum Größenwahn, zu Großspurigkeit und Allwissenheit. Der Mensch mit masochistischem Charakter dagegen zeigt eine überentwickelte Muskulatur und eine reduzierte Geistigkeit. Es ist, als habe das Muskelsystem die geistige Seite des Organismus überwältigt und unterdrückt. Der Masochist ist an die Erde gefesselt, schwer, und seine Aggression ist herabgesetzt. Wie wir schon gehört haben, hängt die Überentwicklung der Muskulatur nicht mit Bewegung zusammen, sondern mit deren Zurückhaltung. Es ist also nicht überraschend, daß sie zu einer verminderten Aggression führt.
Der therapeutische Zugang zum Problem des Masochismus hat viele Seiten. Man muß einen gewissen Kontakt zu dem eingesperrten Geist herstellen, um ihn in dem bevorstehenden mühsamen Kampf zu unterstützen und aufrechtzuerhalten. Das heißt, dem masochistischen Patienten müssen angesichts seines wiederholten Scheiterns, seiner Hoffnungslosigkeit, seines Mißtrauens und seiner Feindschaft gegenüber dem analytischen Therapeuten von diesem zu allen Zeiten Mitgefühl, Verständnis und Unterstützung entgegengebracht werden. Zugleich darf man ihm nicht erlauben, die Last der Verantwortung für seinen Zustand dem Therapeuten aufzubürden. So schwierig es ist, ein rationales Gleichgewicht zwischen Mitgefühl einerseits und einer kritischen Analyse seines Verhaltens andererseits aufrechtzuerhalten, ist dies nur der Rahmen, innerhalb dessen die therapeutische Arbeit geleistet wird. Die Verkrampfung des Muskelsystems muß aufgehoben werden. Bewegung, die blockiert ist, muß befreit werden. Die Ambivalenz zwischen Aggression und zärtlichen Gefühlen muß beseitigt und ein gewisses Maß an Triebverschmelzung muß erreicht werden. Das letztere ist eine genitale Funktion.
Die masochistische Struktur gründet sich auf eine überentwickelte und kontrahierte Muskulatur. Um die schweren Kontraktionen zu überwinden, sind Bewegungen erforderlich, bei denen Streckung und Dehnung erfolgen. Beim Auf-die-Couch-Schlagen wird z. B. ein Gefühl des hohen Sich-Aufrichtens von Kopf und Körper mit einem weiten Ausstrecken der Arme empfohlen. Tiefe Verspannungen, die Schulterblätter und Oberarme fesseln, werden so zum Bewußtsein gebracht. Der ganze Vorgang ist eine Handlung starker Selbstbehauptung. Auf ähnliche Weise müssen Bewegungen eingesetzt werden, die die tiefen Verspannungen im Beckengürtel öffnen und lösen. Die zusammengezogenen Muskeln der Oberschenkel müssen gestreckt und die Beweglichkeit des Beckens muß entwickelt werden. Ferner muß man die Mittel, mit denen der Patient ein Gefühl der Entspannung und der Fülle im Becken erreichen und aufrechterhalten kann, zu einem Bestandteil seines bewußten Wissens machen.
Das hervorstechendste Merkmal der masochistischen Körperstruktur ist vielleicht der Stiernacken. Masochistische Patienten zeigen einen dicken, muskulösen Hals, der nicht sehr rigide ist. Der starre Nacken ist ein Ausdruck des Stolzes, der bei der masochistischen Struktur fehlt. Die schwere Verkrampfung, die den Hals verkürzt, ist in den tiefliegenden Muskeln lokalisiert, die durch gewöhnliche bewußte Bewegungen nicht erreicht werden. In diesen Muskeln wird der unbewußte Trotz festgehalten, und diese Muskeln blockieren den Ausdruck der sich aufwärts bewegenden Impulse. Wenn man bei diesen Patienten den Würgereflex auslöst, stellt man fest, daß die aufsteigende Welle, die den Impuls des Erbrechens darstellt, in der Kehle festgehalten wird. Sie wird nicht durch die Rigidität blockiert, die man in der Kehle von Menschen mit hysterischem Charakter vorfindet. Sie wird vielmehr durch eine Kontraktion angehalten und unterdrückt, die vom Kopf herunterkommt und die Ausdehnungsbewegung zum Stillstand bringt. Es ist, als sagte der Kopf „nein“ zu dem Impuls, zu erbrechen. Dieser Zustand ist identisch mit jenem, der sich im unteren Teil des Körpers entwickelt. Aber in der Anwendung des Würgereflexes haben wir ein Mittel, dem Patienten den Mechanismus bewußtzumachen und ihm zu zeigen, wie man ihn überwinden kann.
In der unteren Körperhälfte ist die Tendenz, den Bauch einzuziehen und den Beckenboden anzuheben, um die nach unten fließende Welle der Erregung anzuhalten, ein weiterer Aspekt desselben Mechanismus, den wir eben beobachtet haben. Das Problem des Masochismus kann nicht gelöst werden, wenn diese Tendenz, den Bauch einzuziehen und zu kontrahieren, nicht überwunden wird. Man kann bewußt daran arbeiten, aber man darf nicht vergessen, daß diese Kontraktion auf der Angst vor dem Schmerz beruht, der entstehen könnte, wenn die starke Erregungswelle den verkrampften Beckenboden und den angespannten Sexualapparat erreicht. Die aktive Kontraktion hat den Zweck, einem Erlebnis vorzubeugen, das schmerzhaft wäre. Der Patient muß sich diesem Schmerz stellen und die Fähigkeit entwickeln, ihn zu ertragen, bevor er seine Angst vor ihm verliert. Es stehen mehrere Mittel zur Verfügung, um dies zu erreichen, die auf der Streckung verspannter Muskeln beruhen. Hier ist das Lust-Unlust-Prinzip wirksam. Je mehr die Fähigkeit wächst, Schmerz zu ertragen, desto mehr steigert sich die Lustmöglichkeit. Die masochistische Charakterstruktur hat nämlich ein prägenitales Verhaltensmuster, das in der Erwachsenen-Realität nicht fest verankert ist.
Bevor wir mit der Untersuchung der zu dieser Gruppe gehörenden Charaktertypen beginnen, sollten wir uns klarmachen, daß der Masochismus eine Tendenz ist - eine Tendenz, sich zusammenzuziehen, zu zweifeln, zu scheitern und zu jammern. Sie stammt, wie wir gesehen haben, von Erlebnissen her, bei denen die aktive Unterdrückung der Unabhängigkeit und Selbstbehauptung des Kindes das Trauma für die Persönlichkeit dargestellt hat. Wenn diese Tendenz der Schlüssel zur Persönlichkeit ist und ihr Grund-Reaktionsmuster bestimmt, sprechen wir von einer masochistischen Charakterstruktur. Das soll nicht heißen, es handle sich um einen reinen Typus, sondern vielmehr, daß wir auf diese Weise die fundamentalen Energiebeziehungen des Betreffenden einordnen können.